Hermann von Gilm               Der Tiroler Landtag I

1812 – 1864

In Innsbruck tagen die Gesetzverfasser.

Da brüllt es plötzlich laut vor dem Portale;

Und von der Sill, der Ziller und der Passer

Drängt Rind um Rind sich nach dem goldnen Saale:

 

"Schafft uns das Salz zum kargen Mittagsmahle,

Das sündhaft wird geworfen in das Wasser,

Wir dulden viel, sind sonst auch keine Prasser,

Doch täglich schlechter wird die Kost im Thale." –

 

An eure Pflüge, Stiere, Bärenhäuter,

Schallt's von den ersten Bänken der Leviten,

Auf fetter Trift, ihr Kühe, füllt die Euter;

 

Wir meinen, euch genügen Gras und Kräuter -

Doch unterthänigst wollen wir erbitten

Von seiner Majestät die Jesuiten!

 

 

 

 

Es gibt zwar Viele, die die Zeit verstehen,

Doch nicht den Mut zur freien Rede haben

Und wie das Gold bei Bränden die Ideen

Im tiefsten Keller ihrer Brust vergraben.

 

Steigt in den Schacht, laßt ihre Schönheit sehen,

Daß sich der Menschen Augen daran laben!

Dann geht es vorwärts, wie die Rosse traben

Am Tag der Schlacht, wenn alle Banner wehen.

 

Woher die Angst, woher das tiefe Schweigen?

Wenn sich im Sommer dunkle Wolken zeigen,

So steckt den Kopf der Vogel ins Gefieder.

 

Und wenn es rings am ganzen Himmel wettert,

Bleibt nur die Lerche wohlgemut und schmettert

In jeden neuen Donner ihre Lieder.

 

 

 

 

 

Die Stände sitzen im Beratungssaale,

Und draußen brüllts. Die Väter werden blasser,

Und von der Rienz, der Ziller und der Passer

Stürzt Rind um Rind herein mit einem Male.

 

„Gebt uns das Salz zum kargen Kräutermahle,

Das sündhaft wird geworfen in das Wasser;

Wir dulden viel und sind auch keine Prasser,

Doch täglich schlechter wird die Kost im Tale.“

 

Und Abt und Graf nahn sich mit scheuen Schritten,

Die Herde, die nach Salz brüllt, zu liebkosen;

Da ruft es mitten durch des Aufruhrs Tosen:

 

Ihr Rinder schweigt! Freßt Speik und Alpenrosen!

Ich meine, der Kongreß soll sich erbitten

Von Seiner Majestät die Jesuiten

 

 

 

 

Noch eh’ die Väter sich zu fassen wissen,

Entsteht ein neues Brausen an den Türen,

Und Inn und Etsch, die sich sonst fliehen müssen,

Geschwisterlich vereint hereinspazieren.

 

„Der Kinderspiele satt, den Floß zu führen,

Des Tags die Blum’ und Nachts den Stern zu küssen,

Soll uns, wir fordern es, gleich andern Flüssen

Der Dampfer weiß und grüne Wimpel zieren.“

 

Am Wasser kann man sich gar leicht verkühlen,

Deshalb wird schnell gutachtet und bestritten,

Bis wieder ruft die Stimme aus den Vielen:

 

Ihr Flüsse, schweigt und geht und treibt die Mühlen!

Ich meine, der Kongreß soll sich erbitten

Von seiner Majestät die Jesuiten.

 

 

 

 

 

Die Wasser rauschen weg. Da wälzt gewaltig

Ein Fels sich her und stört die Ruhe wieder,

Nackt von dem Scheitel bis zur Sohle nieder,

Zerrissen und zerklüftet vielgestaltig.

 

„Seht mich Geschundenen! ich hab viel Brüder

So kahl wie ich, weil Früchte tausendfaltig

Euch nicht genügen und ihr unnachhaltig

Den Baum uns nehmt, die Blumen und die Lieder.“

 

Zerfällt der Stein, kann er uns alle töten,

Wir haben keine Wurzeln, ihn zu kitten.

Da ruft es wieder laut in diesen Nöten:

 

Schweig, Fels, und geh, der Abend soll dich röten!

Ich meine, der Kongreß soll sich erbitten

Von seiner Majestät die Jesuiten.

 

 

 

 

Fort rollt der Fels. Die Rede soll beginnen.

Da klopfts, es wird ein Faß hereinhetragen

Von Mädchen zart, wie Blüt’ in Maientagen,

Blauäugig, wie sie sind, die Winzerinnen.

 

Sie neigen sich und bücken sich und sagen:

„Gar ungeduldig wird der Wein da drinnen,

Nach allen deutschen Landen will er rinnen

Und nach den lang vermißten Brüdern fragen“.

 

Was will den Herrn Collega wohl bedünken?

Der läßt das Haupt in beide Hände sinken,

Solch heißer Tag war wohl noch nie erlitten.

 

Die Stimme ruft: Selbst wollen wir ihn trinken!

Ich meine, der Congreß soll sich erbitten

Von Seiner Majestät die Jesuiten.

 

 

 

 

 

Noch gährts und brausts im Faß’, als gings zu Scherben

Da treten ein Tirols ergraute Streiter,

Im Aug’, einst todverachtend, stolz und heiter,

Glänzt eine Trän’ und eine von den herben.

 

„Schön ist Italien, sein Himmel weiter

Als hier, doch unsern Söhnen bringts Verderben:

Sie welken hin im heißen Land und sterben

Wie in das Tal verpflanzte Alpenkräuter.“

 

Ein leiser Seufzer geht von Mund zu Munde.

Doch die bekannte Stimme ruft in Mitten

Der angstergriffnen, wortgelähmten Runde:

 

Was stört ihr uns in dieser wicht’gen Stunde?

Ich meine, der Congreß soll sich erbitten

Von seiner Majestät die Jesuiten.

 

 

 

 

 

Wir haben sie, nach denen Du gerufen!

Nun schütze sie, sie können es verlangen,

Vor all’ dem Vieh’, das hungernd weggegangen,

Vor Rinderhörnern und vor Rosseshufen;

 

Schütz sie vor der Empörung in den Kufen

Und vor der Winzrin zornentbrannten Wangen

Und vor den Tränen, die versteinert hangen

Wie Perlenschnüre an des Saales Stufen,

 

Und vor den Felsen schütz sie, den entlaubten,

Und vor des Bergfalls donnerndem Gericht,

Das einst gewiß auf ihre Häupter bricht,

 

Und vor den Flüßen schütz sie, den beraubten,

Die kindlich fromm die Dampfschiff-Träume glaubten;

Vor meinen Liedern schützest Du sie nicht!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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